Die Frage ist nicht, ob Online-Therapie «genauso gut» ist wie Präsenztherapie. Die richtige Frage lautet: Welches Format passt zu deiner Situation, deinen Bedürfnissen und deinem Therapieziel? Beide Formate haben ihre Stärken – ein ehrlicher Vergleich hilft bei der Entscheidung.

Die Stärken von Online-Therapie

Flexibilität und Zeitersparnis

Kein Anfahrtsweg bedeutet nicht nur Zeitersparnis, sondern auch weniger Stress. Du kannst eine Therapiesitzung in der Mittagspause wahrnehmen, musst dich nicht um Parkplätze kümmern und verschwendest keine Energie mit Wetterkapriolen oder Verkehrschaos. Für viele Berufstätige macht genau das den Unterschied zwischen «funktioniert» und «funktioniert nicht».

Niedrigere Hemmschwelle

Der Gang in eine Praxis, das Warten im Wartezimmer, die Sorge, jemandem zu begegnen – all das fällt weg. Aus der vertrauten Umgebung heraus fällt es vielen leichter, den ersten Schritt zu wagen. Gerade bei sozialen Phobien oder starker Scham kann dies entscheidend sein.

Geografische Unabhängigkeit

Du lebst in einem Bergdorf, die nächste Therapeutin ist 45 Autominuten entfernt? Online spielt der Wohnort keine Rolle. Gleichzeitig hast du Zugang zu Spezialisten, die es in deiner Region vielleicht gar nicht gibt – sei es für Trauma-Therapie, Essstörungen oder spezifische Angststörungen.

Die Stärken von Präsenztherapie

Vollständige nonverbale Kommunikation

Körpersprache, Haltung, subtile Gesten – im direkten Kontakt nimmt der Therapeut mehr wahr. Das kann gerade bei Therapieformen, die stark mit Körperarbeit arbeiten, oder bei Menschen, die sich verbal schwer ausdrücken können, wertvoll sein.

Klare räumliche Trennung

Die Praxis ist ein geschützter Raum, zeitlich und räumlich vom Alltag getrennt. Dieser Rahmen hilft vielen Menschen, sich auf die Therapie einzulassen. Zuhause lauern Ablenkungen – der Blick auf den Laptop, die Wäsche, die ruft, die Familie im Nebenzimmer.

Therapeutische Interventionen vor Ort

Manche Therapiemethoden funktionieren vor Ort besser: Expositionstherapie bei Angststörungen, bei der der Therapeut dich begleitet, oder körperorientierte Verfahren. Auch bei akuten Krisen ist die physische Präsenz des Therapeuten oft wichtig.

Wann ist was die bessere Wahl?

Online-Therapie ist besonders geeignet, wenn:

Präsenztherapie ist besonders sinnvoll, wenn:

Hybride Modelle als Lösung

Viele Therapeuten bieten heute hybride Modelle an: Der erste Termin findet in der Praxis statt, um sich kennenzulernen und eine Beziehung aufzubauen. Danach wechseln sich Präsenz- und Online-Sitzungen ab oder du nutzt Online als Standard und kommst bei Bedarf in die Praxis.

Diese Flexibilität vereint die Vorteile beider Formate und passt sich deiner aktuellen Lebenssituation an.

Die Wirksamkeit ist vergleichbar

Die wichtigste Erkenntnis aus der Forschung: Bei den meisten Störungsbildern ist Online-Therapie genauso wirksam wie Präsenztherapie. Studien zu Angststörungen, Depressionen und PTBS zeigen vergleichbare Effekte. In manchen Bereichen – etwa bei sozialer Phobie – schneidet Online-Therapie sogar minimal besser ab.

Entscheidender als das Format ist die Qualität der therapeutischen Beziehung. Ein guter Therapeut, zu dem du Vertrauen aufbauen kannst, ist wichtiger als die Frage, ob ihr euch im selben Raum befindet. Die Behandlung von Angststörungen beispielsweise funktioniert in beiden Settings hervorragend – wenn die Chemie stimmt.

Praktische Entscheidungshilfe

Stelle dir folgende Fragen:

Manchmal hilft auch, beides auszuprobieren. Viele Therapeuten bieten eine Probesitzung an – nutze diese, um zu spüren, was besser passt. Weitere Hinweise zur Therapeutensuche findest du in wissenschaftlichen Datenbanken wie Psychotherapie-Wissenschaft.

Das Wichtigste zum Schluss

Es gibt kein «besser» oder «schlechter» – nur ein «passender» oder «weniger passend». Deine Lebenssituation, deine Präferenzen und deine spezifischen Bedürfnisse sind massgeblich. Eine wirkungsvolle Therapie braucht vor allem eines: dass du hingehst. Wenn Online-Therapie der Schlüssel dazu ist, dass du überhaupt anfängst, dann ist sie für dich die richtige Wahl.

Und solltest du nach einigen Sitzungen merken, dass das Format doch nicht passt: Wechseln ist möglich und legitim. Gute Therapeuten sprechen solche Themen offen an und suchen gemeinsam mit dir nach der besten Lösung.