Lange galt Therapie per Video als Notlösung für Regionen ohne therapeutisches Angebot. Doch spätestens seit der Pandemie hat sich gezeigt: Videotherapie ist eine vollwertige Alternative zur Präsenztherapie – mit eigenen Stärken und Vorteilen, die über reine Bequemlichkeit hinausgehen.

Flexibilität, die den Alltag erleichtert

Der offensichtlichste Vorteil liegt in der Flexibilität. Keine Anfahrtswege bedeuten keine verlorene Zeit im Stau, keine Parkplatzsuche, keine wetterabhängige Stresskomponente. Für berufstätige Menschen, Eltern oder Menschen mit eingeschränkter Mobilität kann dies den Unterschied ausmachen zwischen «schaffe ich nicht» und «funktioniert».

Ein Beispiel aus der Praxis: Eine Klientin aus Zürich nimmt ihre wöchentliche Sitzung während der Mittagspause wahr – etwas, das mit Anfahrtsweg zum Therapeuten unmöglich wäre. Die gewonnene Zeit reduziert ihren Alltagsstress erheblich, was den Therapieerfolg zusätzlich unterstützt.

Zugang auch in der Fläche

Die Schweiz verfügt über eine gute therapeutische Versorgung – allerdings konzentriert sich diese auf urbane Zentren. Wer in ländlichen Gebieten lebt, muss oft weite Strecken zurücklegen oder auf spezialisierte Therapieangebote verzichten. Online-Therapie hebt diese geografische Einschränkung auf.

Gleichzeitig ermöglicht sie Zugang zu Therapeuten mit spezifischen Schwerpunkten. Wer beispielsweise Unterstützung bei Flugangst oder sozialer Phobie sucht, findet online eher einen passenden Spezialisten als im eigenen Wohnort.

Wissenschaftlich belegt wirksam

Zahlreiche Studien belegen die Wirksamkeit von Videotherapie bei verschiedenen Störungsbildern. Besonders gut erforscht ist die Wirkung bei Angststörungen, Depressionen und Posttraumatischen Belastungsstörungen. Die Ergebnisse sind vergleichbar mit Präsenztherapie – in manchen Bereichen sogar leicht überlegen, etwa bei sozialen Phobien, wo die virtuelle Distanz zunächst Sicherheit schafft.

Niedrigere Hemmschwelle

Viele Menschen zögern lange, bevor sie professionelle Hilfe suchen. Die Vorstellung, in eine Praxis zu gehen, das Wartezimmer zu betreten, anderen Menschen zu begegnen – all das kann abschrecken. Online-Therapie senkt diese Hemmschwelle erheblich.

Aus der gewohnten Umgebung heraus den ersten Schritt zu wagen fällt leichter. Manche Therapeuten berichten, dass Klienten in der vertrauten Umgebung schneller Zugang zu ihren Emotionen finden und offener sprechen können als in der formalen Praxissituation.

Kontinuität auch unterwegs

Geschäftsreisen, Umzug, längere Auslandaufenthalte – früher bedeutete dies oft eine Unterbrechung der Therapie. Online lässt sich die therapeutische Beziehung ortsunabhängig fortführen. Diese Kontinuität kann gerade in Veränderungsphasen besonders wertvoll sein.

Für wen ist Videotherapie besonders geeignet?

Während Videotherapie grundsätzlich für viele Menschen funktioniert, gibt es Konstellationen, in denen sie besonders sinnvoll ist:

Auch für spezielle Therapieformen wie Hypnosetherapie eignet sich das Online-Format hervorragend, da die Fokussierung auf Stimme und Bildschirm die therapeutische Trance sogar unterstützen kann.

Grenzen kennen und respektieren

Bei aller Begeisterung: Videotherapie ist nicht für jeden und nicht für jede Situation die beste Wahl. Akute Krisen mit Selbst- oder Fremdgefährdung, schwere psychotische Episoden oder die Notwendigkeit körperlicher Untersuchungen erfordern Präsenzbehandlung. Ein seriöser Online-Therapeut wird dies offen ansprechen und gegebenenfalls an Präsenzangebote verweisen.

Auch die technische Ausstattung und eine stabile Internetverbindung sind Voraussetzung. Wer sich mit Videotechnik schwer tut oder keine ruhige Umgebung hat, wird möglicherweise mit Präsenztherapie besser fahren.

Kostenübernahme durch Krankenkasse

Die Grundversicherung übernimmt Online-Therapie unter denselben Bedingungen wie Präsenztherapie: Der Therapeut muss über eine Kassenzulassung verfügen oder die Behandlung muss ärztlich verordnet sein (delegierte Psychotherapie). Die Abrechnung erfolgt identisch – für dich als Patient macht es finanziell keinen Unterschied.

Die Frage ist also nicht «Online oder offline?», sondern «Was passt zu meiner Situation?». Für viele Menschen ist Videotherapie ein Gewinn an Lebensqualität und macht professionelle Hilfe überhaupt erst zugänglich. Weitere Informationen zur Auswahl findest du bei der Föderation der Schweizer Psychologinnen und Psychologen.